LETS TALK ABOUT EAST
- Alexander Kästel
- vor 4 Tagen
- 6 Min. Lesezeit
Aktualisiert: vor 3 Tagen
Ein grober Überblick meiner Reise nach Dresden, über Neonazis und die offensichtliche Rückkehr der Baseballschläger-Jahre der 90er.

Eingestürzte Carolabrücke in Dresden | Bildnummer: FUJI6957
Mai 2025. Ein Familienfest war mein Grund, für eine Woche nach Dresden zu reisen, Zeit mit der Familie, ein bisschen Fotografieren und auch da mein Training nicht zu vernachlässigen.
Über eine latente Unfreundlichkeit fast allen Menschen gegenüber, habe ich ja schon mal erschreckend berichtet und beobachtete diese anderen und mir gegenüber auch wieder in diesem Jahr. Da hat sich nicht viel getan. Man kennt sich nicht, man traut sich nicht. Ich meine: Ich kann das sogar nachempfinden. In der Straßenbahn, im Bus, im Supermarkt, auf der Straße. 34 Prozent für die AfD. Jede dritte Person, die mir begegnete, hat statistische gesehen die rechtsradikale AfD gewählt. Den Menschen da freundlich zu begegnen, muss sich ja immer wie russisch Roulette anfühlen. Die Menschen sprechen nicht mehr zusammen über Politik und Gesellschaft, wenn sie vermuten oder wissen, dass die andere Person eine andere Meinung vertritt als die eigene.
Das allerdings erlebte ich schon einige Jahre. Neu dazugekommen - und das sollte uns alle erschrecken - ist die Sichtbarkeit der Rechten. Das offene dazustehen, Rechtsradikale oder eine rechtsradikale Partei zu unterstützen, Uniformierung durch spezielle Markenkleidung, der einheitliche kurze Scheitelschnitt, dass offene Tragen von verfassungsfeindlichen Symbolen. Dazu kommt eine neue Qualität des Auftretens im öffentlichen Raum.
Sie treten selten allein auf. Meist drei bis fünf Jugendliche bis ca. 25 oder 30 Jahren, ausschließlich männlich gelesen. Fred Perry, Lonsdale, Alpha Industries, New Balance, Dr. Martens – neue Marken wie Lyle & Scott und selbst Adidas wurden in den letzten Jahren wieder „beliebter“.
Bis auf die beiden letzten gab es alle Marken schon in den 90ern. Sie wurde bis auf die Dr. Martens ausschließlich im rechten und rechtsradikalen Spektrum getragen. Viele der Unternehmen versuchen bis heute, dass ihre Marke nicht von Rechtsextremen vereinnahmt wird. Leider mit eher weniger Erfolg. Erfolgreicher lief in Westdeutschland die Rückeroberung dieser Marken auch durch Linke, in gewissen Teilen trifft das auch auf den Osten des Landes zu. Das „pisst“ die Nazis natürlich an, wenn nun Linke auch diese Marke tragen und zudem wird so die Marke nicht mehr nur dem rechten Spektrum zugeordnet.
Was hier in Mannheim für mich ok ist, wenn ich New Balance oder Fred Perry trage. Keine Person hier hat mich deswegen je irgendwie angemacht oder in eine rechte Ecke gestellt.
Zur neuen Qualität der Rechten.
Wie sie auftreten, hat nicht nur etwas mit den Klamotten, dem Haarschnitt der Gruppe oder dem mitgeführten Pitbull zu tun. Sie haben gelernt, wie man Menschen, die nach deren Weltbild nicht dahin gehören, wo sie sich in dem Moment befinden, erkennen, framen und nun kommt es: Sie es eindeutig und unverschämt wissen lassen, dass sie erkannt wurden als andere. Dass sie hier in der Minderheit sind. Dass sie bedroht werden. Jetzt gerade. In diesem Moment.
Mir ist das in 7 Tagen vielfach passiert. Im Bus fesselnde Blicke. Immer wieder auf meine Schuhe, auf mein Shirt, auf meine Haare, selbst meine Ihr mit Regenbogen-Ziffernblatt war so ein Reiz.
Hämisches Lachen und Zeigen innerhalb der Gruppe auf mich.
Pöbelnde Kommentare, die ich zum Glück mit meinen Kopfhörern cancel und dem somit keine Beachtung schenke.
Im Gym: an drei verschiedenen Tagen. Einer, der - wie ich auch - da trainiert. Fixierte mich mit Blickkontakt permanent. Selbst als er seine Übungen machte oder ich meine immer dieser durchdringende direkte Blick. Haare raspelkurz – der Rest unauffällig. Vielleicht wollte er ja doch nur mit mir zusammen in die Sauna. Vielleicht interpretiere ich auch zu oft zu viel.
Eine Gruppe von 4 oder 5 Halbstarken, die mich sahen und offensichtlich über mich lachten. Auf eine verächtliche Art und Weise.
Ein groß gebauter Typ, der an mir vorbeilief, mich vorher schon fixierte und mir unvermittelt mit seiner Hand durch meine blauen Haare ging.
Zwei, die mich erkannten und verfolgten, die Absprachen am Telefon trafen. Alles so, dass ich das mitbekomme.
Und nun die Krönung:
Ich war mit meiner Schwester, Mann und Neffe im Zentrum der Stadt in einem Einkaufszentrum. Ich habe es leider nicht gesehen – meine Schwester jedoch schon. Ich muss dazusagen, ich trug ein Shirt mit der Aufschrift „Nazi Hunter“. Beide – man könnte es fast so harmlos sagen, wie es ein Großteil in Dresden sehen würde – Hitlerten mich an. Sie zeigten mir beide einen Hitlergruß. Auf die Art, hier wir sind Nazis, jage uns doch.
Ich bin geneigt, bei meinem nächsten Besuch Bodycams zu tragen und das zu dokumentieren. Meine Erzählungen sind nur ein Bruchteil an der Oberfläche in Strukturen hinein, die ich nicht anders als Metastasen in unserer Gesellschaft beschrieben kann.
Ich bin schockiert! Nicht wegen mir, ich halte das aus. Ich kann das aushalten, da ich da immer nur zu Besuch bin. Aber wie geht es Menschen, denen das immer und immer wieder passiert. Menschen, die nicht in das rechtsradikale Weltbild passen, Menschen, die auch nur ein Merkmal haben, welches sie als anders outet.
Menschen, die ein Kopftuch oder eine Kippa tragen, Menschen, die Merkmale nicht ablegen können und deren Farbe der Haut sie schon allein zum Opfer macht. Queere Menschen, Transpersonen, Menschen mit Behinderungen.
Wir haben das alles schon einmal erlebt. Und nicht nur vor 30 Jahren. Sondern vor 100 Jahren. Die Nazis waren auch damals nicht in der Überzahl, aber sie haben es geschafft, dass durch Lügen, Angst und Gewalt ein Klima entstand, welches viele, die nicht für die Nazis waren, trotzdem alles egal war, solange sie in Ruhe gelassen werden.
Wir trafen einen jungen Mann, tätowiert, längere Haare, alternatives Aussehen. Er sagte sofort, er sei weder links noch rechts, er halte sich da raus. Er sei neutral und wolle im Grunde nur, dass ihm nichts passiert und keinem anderen auch. Ich reagierte mit der Antwort, dass das im Grunde die Definition von Links sei. Das gab ihm kurz zu denken.
Leider ist das auch ein Phänomen, welches ich in Dresden schon lange beobachtete. Diese sich zurückhalten. Sich raus halten. Keine Meinung dazu äußern und einfach einen schönen Tag haben, während marodierende Banden durch die Straßen ziehen und alle die angreifen, die noch den Mut haben oder die, die nicht anders können, da sie ihre Identität nicht ablegen können.
Jetzt bin ich wieder in Mannheim. Ich lebe seit 25 Jahren hier. Immer wieder werde ich auf den Osten hin befragt. Meine Antwort im letzten Jahr an euch alle war auf die Frage: Unterstützt im Osten die Menschen, die noch für eine offene Gesellschaft kämpfen. Nicht nur moralisch, nicht nur monetär, sondern mit echtem Interesse, mit echtem Beistand, mit echter Tatkraft. Ja, das ist aufwendig und ja, das kostet etwas. Zeit und Geld und wahrscheinlich auch Geduld.
Ohne uns – die offene und bunte Gesellschaft – und ich bin kein Pessimist – verlieren wir den Osten an die Nazis. Ich will das nicht, ich habe auch noch nicht aufgegeben, aber ich weiß, dass die Herausforderungen große sind.
Wir brauchen engere Partnerschaften mit Aktivisti im Osten. Mal ein oder zwei Feste zur Selbstbeweihräucherung ausfallen lassen und das Geld und die Energie in Projekte stecken, die denen helfen, die in den östlichen Bundesländern noch auf unserer Seite sind. Empowern – eines meiner Lieblingswörter der letzten Jahre. Lasst und lernen von denen, die so viel Mut und Kraft besitzen, die immer noch nicht aufgegeben haben, die Sachsen und andere Bundesländer nicht den Nazis überlassen wollen. Lasst uns denen helfen.
Dieses Jahr ergänze ich gern meine Antwort auf die vielen Fragen mit: Hab ein marginalisierendes Merkmal an dir oder borge dir eines meiner Shirts, gern färbe ich dir auch die Haare bunt und mache dann bitte eine Woche Urlaub in Dresden und lass die Menschen da auf dich wirken.
Zum Schluss:
Es gab einen, der auf mein Shirt mit einem Daumen-Hoch reagierte und sich über diverse Aufkleber freute, die ich ihm dafür im Gegenzug anbot.
Mehrere mit Regenbogen-Taschen, denen ich ebenfalls dankte für ihre Sichtbarkeit.
Es gab die Techno Straßenparty Tolerade. An die 4000 Teilnehmenden.
Es gab eine größere Beteiligung an der Deutschlandweiten Aktionsdemo zum AfD-Verbot Jetzt.
Um es mit den Worten von Feine Sahne Fischfilet zu sagen: Dresden ist noch nicht komplett im Arsch!
Es liegt auch an uns hier, 500 Kilometer entfernt, dass das nicht passiert.
In diesem Sinne alles Gute! Alex
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