top of page

DAS PHÄNOMEN

Was ist das für ein Phänomen / Fast kaum zu hören kaum zu sehn

Ganz früh schon fängt es in uns an / Das ist das Raffinierte dran

Als Kind hat man\'s noch nicht gefühlt / Hat noch mit allen schön gespielt

Das Dreirad hat man sich geteilt / Und niemand hat deshalb geheult

Doch dann hieß es von oben her / Mit dem da spielst du jetzt nicht mehr

Das möcht ich nicht noch einmal sehn / Was ist das für ein Phänomen


Und ist man größer macht man\'s auch / Das scheint ein alter Menschenbrauch

Nur weil ein andrer anders spricht / Und hat ein anderes Gesicht

Und wenn man\'s noch so harmlos meint / Das ist das Anfangsbild vom Feind

Er passt mir nicht er liegt mir nicht / Das ist das nicht und find ihn schlicht


Geschmacklos und hat keinen Grips / Und ausserdem sein bunter Schlips

Dann setzt sich in Bewegung leis / Der Hochmut und der Teufelskreis

Und sagt man was dagegen mal / Dann heisst\'s: Wer ist denn hier normal

Ich oder er du oder ich / Ich find den Typen widerlich


Und wenn du einen Penner siehst / Der sich sein Brot vom Dreck aufliest

Dann sagt ein Mann zu seiner Frau / Guck dir den Schmierfink an die Sau

Verwahrlost bis zum dorthinaus / Ja früher warf man die gleich raus

Und heute muss ich sie ernähr\'n / Und unsereins darf sich nicht wehr\'n


Und auch die Gastarbeiterpest / Der letzte Rest vom Menschenrest

Die sollt man alle das tät gut / Spießruten laufen lassen bis auf\'s Blut

Das hamwer doch schon mal gehört / Da hat man die gleich streng verhört

Verfolgt gehetzt und für und für / Ins Lager reingepfercht und hier


Hat man sie dann erschlagen all / Die Kinder mal auf jeden Fall

Die hatten keinem was getan / Was ist das für ein Größenwahn

Das lodert auf im Handumdrehn / Und ist auf einmal Weltgeschehn

Denn plötzlich steht an jedenm Haus / Die Juden und Zigeuner raus


Nur weil kein Mensch derselbe ist / Und weiß und schwarz und gelbe ist

Wird er verbrannt ob Frau ob Mann / Und das fängt schon von klein auf an

Und wenn ihr heute Dreirad fahrt / Ihr Sterblichen noch klein und zart

Es ist doch eure schönste Zeit / voll Phantasie und Kindlichkeit


Lasst keinen kommen der da sagt / Dass ihm dein Spielfreund nicht behagt

Dann stellt euch vor das Türkenkind / dass ihm kein Leids und Tränen sind

Dann nehmt euch alle an die Hand / Und nehmt auch den der nicht erkannt

Dass früh schon in uns allen brennt / Das was man den Faschismus nennt

Nur wenn wir eins sind überall / Dann gibt es keinen neuen Fall

Von Auschwitz bis nach Buchenwald / Und wer's nicht spürt der merkt es bald


Nur wenn wir in uns alle sehn / Besiegen wir das Phänomen

Nur wenn wir alle in uns sind / Fliegt keine Asche mehr im Wind


- Hanns Dieter Hüsch -

- Wir gedenken der Entrechteten, Gequälten und Ermordeten…